VeriSM – ein kritischer Überblick
Ende letzten Jahres wurde mit viel Aufwand ein neues Framework für Service Management vorgestellt: VeriSM. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich dazu stehen möchte.In dieser Folge gebe ich Dir einen Überblick zu VeriSM und erzähle Dir, was das Ergebnis meiner Gedanken ist.
Wenn Du Dich mit IT-Service-Management beschäftigst, wird Dir nicht entgangen sein, dass seit ungefähr Oktober letzten Jahres ein neues Framework auf dem Markt ist: VeriSM.
Ich habe lange mit mir gerungen, was ich über VeriSM sagen soll. Aus anderen Folgen (ITIL, ja bitte, aber anders, YasM, Methodenfundamentalismus) kennst Du meine Meinung zu Frameworks an sich und zu neuen Frameworks im Bereich ITSM insbesondere. Meine persönliche Meinung über VeriSM teile ich mir Dir in dieser Folge.
Das Who is Who
Grundlage von VeriSM ist ein Buch mit einer Vielzahl von Autoren. Von wirklich namhaften Autoren wie Daniel Breston, Jon Hall, Karen Ferris, Stephen Mann und noch knapp 70 weiteren Autoren und Korrekturlesern. Geführt wurde das Autorenteam von Claire Agutter – der Dame hinter SIAM und learning.zone einem Online-Trainingsanbieter aus Großbritannien.
Als Organisation hinter VeriSM tritt die IDFC auf – die International Federation for Digital Competence. Eine Organisation mit dem Ziel Standards für die berufliche Entwicklung von Menschen in der digitalen Ära zu entwickeln und zu vermarkten. Dahinter verbergen sich APMG, BCS, Exin, Van Haren Publishing, The Open Group, Innovation Value Institute, ITSM Zone und der itSFM International.
Grundsätzlich sieht sich VeriSM nicht als ein Framework für ITSM oder Enterprise Service Management, sondern grundsätzlich für Service Management. Egal wo. Die Definition lautet daher:
Service Management ist „the management approach adopted by an organization to deliver value to consumers through quality products and services”
Service, Produkt & Consumer
Das Buch startet mit zwei interessanten Ansätzen:
- Es wird nicht unterschieden, ob es sich um ein Produkt oder einen Service handelt. Die Autoren gehen davon aus, dass über kurz oder lang alles Service wird bzw. zu den meisten Produkten auch ein Service angeboten wird.
- VeriSM spricht nur von Consumern – Konsumenten. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Kunden und Nutzern. Consumer consume and providers provide. So die vereinfacht Sicht.
Ersterem kann ich sehr gut zustimmen. Die Diskussion was nun ein Service ist oder nicht oder ob es ein Produkt ist, interessiert den Kunden nun überhaupt nicht. Viel wichtiger sind die Grundsätze der Serviceorientierung bzw. der Service Culture, wie es in VeriSM heißt. Dazu gleich mehr.
Bei dem zweiten Ansatz – dem Consumer – habe ich Fragezeichen, ob das tatsächlich so funktioniert. Denn nehme ich die vertriebliche Sicht auf einen Service oder Produkt, dann gibt es dort immer den Entscheider und die, die mit der Entscheidung leben müssen. Ich bezeichne das im IT-Service-Management immer als Kunde und Nutzer. Einfach um klar zu machen, dass es Unterschiede zwischen den beiden gibt. Kunde und Nutzer haben ggf. konkurrierende Anforderungen an einen Service. Der eine schaut mehr aus finanzieller Sicht drauf, der andere mehr aus dem Wissen der alltäglichen Herausforderungen. Klar, idealerweise soll das übereinander passen – passt es allerdings häufig nicht!
Da ich Deine und meine Aufgabe auch darin sehe, zwischen diesen beiden Stakeholdern zu vermitteln, ist es wichtig auch sprachlich zu wissen, dass es diese gibt!
Was ich bisher vergessen habe – VeriSM steht für:
- Value-driven: focuses on providing value to the business
- Evolving: an up to date approach which will continually evolve
- Responsive: facilitates a tailored approach depending on the business situation
- Integrated: helps you fit all the different practices together
- Service
- Management
Das Buch
Das Buch hat drei Teile:
Im ersten Teil geht es um die Einordnung von Service und Service Management in unsere, sich immer schneller ändernde, Welt – in die Welt der Digitalisierung. Der zweite Teil geht spezifisch auf das VeriSM Modell ein und der dritte Teil beschäftigt sich mit den progressiven Management-Practices. Also mit Agile, Devops, SIAM, usw.
Dieser dritte Teil macht ungefähr die Hälfte des Buches aus – 230 von 409 Seiten. Dazu möchte ich auch nicht viel mehr sagen, als das sich die Autoren diese Aufzählungssammlung für mich hätten sparen können. Du bekommst einen schnellen Überblick zu dem, was heute an „Säuen“ durch die Unternehmen getrieben wird. Nicht mehr und nicht weniger.
Begriffsdefinition
Im ersten Teil werden viele Begriffe erklärt und mit Beispielen verdeutlicht, die wir heute so ganz selbstverständlich in den Mund nehmen: Kultur, Governance, Digitale Transformation und deren Einfluss auf die Organisation, Services und Produkte. Lesenswert sind die beiden Kapitel über Servicekultur und Menschen. Diese sind auch am umfangreichsten und bieten Dir somit die größte Chance etwas mitzunehmen. Im letzten Kapitel gehen die Autoren auf unsere Herausforderung als Service-Provider ein. Auch das kann ich Dir empfehlen zu lesen.
Danach wird auf 90 Seiten das VeriSM-Modell im zweiten Kapitel erklärt.
VeriSM Modell
Hier wird das Selbstverständnis erläutert: VeriSM ist ein Service-Management-Operating-Modell für Organisationen. Es enthält die Governance, die Service-Management-Prinzipien und das sogenannte Management-Mesh, welches den Einsatz beliebiger konkreter Managementframeworks erlaubt.
Das Operating-Model ist eine visuelle Darstellung, wie ein Unternehmen Mehrwert für Kunden durch seine Services bzw. Produkte liefern will. Diese Definition ist mir zu flach. Andrew Campell beschreibt das Betriebsmodell als den Teil des Geschäftsmodells, der die Erstellung und Lieferung der Werte beschreibt. Also viel mehr als nur eine visuelle Darstellung.
Dabei prägt VeriSM einen wichtigen Satz: Start with the consumer – end with the consumer. Soll heißen: Am Anfang und am Ende des Value-Streams steht der Kunde. Am Anfang hat er Anforderungen und ist bereit zu investieren. Am Ende bekommt er das Produkt und gibt Feedback.
VeriSM definiert vier high-level Stufen der Serviceerbringung:
- Define
- Produce
- Provide
- Respond
In jedem der Kapitel geht es um die Ziele, Aktivitäten und die einzelne Phasen der jeweiligen Stufe. Bei Define sind das:
- Consumer need
- Requirements gathering
- Create a Solution
- The Service Blueprint
In dieser Flughöhe geht es durch die restliche Stufen durch. Alles auf einer sehr allgemeinen Ebene.
Management-Mesh
Das Konkrete soll das Management-Mesh richten. Denn dieses gibt Dir die Freiheit das eine oder die verschiedenen konkreten Frameworks einzusetzen, um etwas Fleisch dran zu bekommen. Was hier so toll promotet wird, ist aus meiner Sicht die Konsequenz daraus, dass zum Thema Service-Management einfach schon alles gesagt und geschrieben wurde!
Wir haben COBIT, wir haben ITIL, FitSM, ISO 20.000 und noch jede Menge andere Ableger zum Thema Governance und Service-Management. Wir haben mit SIAM, Scrum, Kanban, DevOps und Lean sogenannte progressive Methode. Alles da. Dazu brauchen wir kein VeriSM. Wir können schon seit vielen Jahren uns das Werkzeug raussuchen, welches für die konkrete Situation passt.
Meine Meinung
VeriSM hat für mich einen guten Ansatz: Die Betonung der Service-Kultur oder Serviceorientierung als Mindset und auch Paradigma für den Aufbau der Organisation. Das konsequente ausrichten auf das Dienen!
Selbst für den versteckten Value-Stream im VeriSM Modell gibt es mit IT4IT einen wesentlichen besseren Ansatz.
Wäre das Buch nach den ersten 119 Seiten zu Ende, dann würde ich es Dir ans Herz legen zum Lesen. Aber dann hätte es nicht für ein dreistufiges Zertifizierungsschema gereicht.
Schauen wir nochmal, wer hinter VeriSM steht: Das sind APMG, BCS, Exin, Van Haren Publishing, The Open Group, Innovation Value Institute, ITSM Zone und der itSFM International. Also drei Unternehmen, die mit Zertifizierungen ihr Geld verdienen. Ein Verlag, ein Trainingsanbieter und der itSMF international. Also alle die, die seit 1.1.2018 kein oder weniger Geld mit ITIL verdienen.
APMG, BCS und Exin haben bis zum 31.12.2017 Zertifikate für ITL ausgestellt. Seit 1.1.2018 stellt diese einzig und allein PeopleCert aus. Den drei ist also das Geschäftsmodell zu einem großen Teil weggebrochen. Diese Lücke soll durch VeriSM gefüllt werden.
Wie ich darauf komme, fragst Du? Weil schon mit Erscheinen des Buches drei Zertifizierungsstufen Foundation, Essential und Plus auf den Markt kamen. Auch liest sich die Liste der Autoren wie das Who is Who der englischsprachigen Beratungs- und Trainerszene.
Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich habe kein Problem wenn Zertifizierer, Schulungsunternehmen und Berater gutes Geld verdienen.
Mich stört das übliche Modell: Man nehme eine neues Framework, generiere einen Hype, biete Kurse und Zertifikate an und dann führt man es in die Unternehmen ein. Dass das so nicht funktioniert haben wir doch schon mehrfach erlebt, oder?
Das Problem unsere Organisationen sind nicht fehlende Frameworks bzw. Werkzeuge. Nein, ihnen fehlen die Verankerung in der Organisation, im Kopf und die kundenorientierte Umsetzung. Ihnen fehlt das Weiterdenken – also die konkrete Nutzung eines Frameworks. Für den Punkt kann das erste Kapitel im VeriSM Buch einen Beitrag leisten. Allerdings auch nur überblickshaft.
Ich erlebe fast bei jedem meiner Kunden, dass ihnen am meisten geholfen ist, wenn wir mit gesundem Menschenverstand die vorhandenen Werkzeuge sinnvoll einsetzen. Der Blick von außen auf die Organisation ist dabei ebenso wertvoll, wie meine Erfahrung.
Dabei bin ich offen für neue Entwicklungen und Werkzeuge. Deswegen bin ich gespannt, was sich in diesem Jahr in Bezug auf VeriSM entwickeln wird. Wie siehst Du das? Kommentiere diese Folge bitte auf meiner Webseite www.different-thinking.de – ich bin gespannt, wie Du das siehst!
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- VeriSM-Key-Concepts: IDFC