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Warum IT4IT 10 Jahre zu spät kommt und Du Dich trotzdem damit beschäftigen solltest

IT4IT ist eine Referenzarchitektur für das IT Management, welche nicht von einer privaten Firma, sondern einem offenen Konsortium – der Open Group – erarbeite und verwaltet wird. In dieser Podcastfolge gebe ich Dir einen Überblick zu IT4IT.


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Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis die Open Group das IT4IT Referenzwerk ohne größere Hürden für Dich und mich zugänglich macht.

Ich versuche schon seit anderthalb Jahren Mitglied der Arbeitsgruppe zu werden. Das ist aber nur Mitarbeitern bzw. auf Empfehlung der beteiligten Unternehmen möglich.

Die Wartezeit ist vorbei und Du kannst jetzt einen Blick drauf werfen: http://pubs.opengroup.org/it4it/refarch20/index.html

Was ist IT4IT?

“IT4IT ist eine Referenzarchitektur und ein Wertschöpfungsketten-basierendes Betriebsmodell für das Geschäft der IT.“ – so sagt die Open Group in der Einführung zu dem Modell. 

Weiter lautet es dort: „Es verwendet einen Wertschöpfungsketten-Ansatz, um ein Modell der Aufgaben zu erstellen, die IT-Organisationen durchführen, um die Aufgaben zu identifizieren, die zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmen beitragen.“

Puh, ganz schöner Broken, oder?

Bevor ich für Dich ins Detail gehe, möchte ich gern die Begriffe Referenzarchitektur und Value Chain klären.

Bei einer Referenzarchitektur (auch Referenzmodell) geht es um die Standardisierung der Begriffswelt und der Konzepte innerhalb eines bestimmten Bereiches.

Was IT4IT für den IT-Provider sein soll, ist eTOM für die Telekommunikationsbranche, BIAN für die Banken und ARTS für den Einzelhandel. Die Standardisierung soll den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit zu vereinfachen.

Je nach Ausrichtung beinhaltet die Referenzarchitektur Prozesse oder den Aufbau von IT-System-Landschaften. ITI4IT ist ein funktionales Referenzmodell.

Referenzmodell

Das Referenzmodell gibt Dir auf einer abstrakteren Ebene einen Überblick, was zu tun ist und wie die Schnittstellen zwischen den einzelnen Prozessen bzw. Funktionen sind. Damit wird die Komplexität reduziert und die Implementierungskosten für das einzelne Unternehmen sind geringer.

Du sparst Dir die Zeit darüber nachzudenken, was Du tun sollst, sondern kannst Dich auf das wie konzentrieren.

Die gesamte IT4IT Referenzarchitektur

Die gesamte IT4IT Referenzarchitektur

Gleichzeitig hast Du die Sicherheit, dass ein, Dir zuliefernder, Provider, der nach IT4IT arbeitet, das gleiche Verständnis der Begriff, Funktionen und Schnittstellen hat. Vor allem die Schnittstellen zwischen Dir und Deinem Lieferanten sind klar.

Die Open Group legt wert, dass IT4IT auf Grundlage architektonischer Prinzipien steht und damit auch implementierbar ist. Weiterhin ist es herstellerunabhängig.  Mehr über die Hintergründe erfährst Du in meinem Artikel aus dem Jahr 2014

Value Chain

Zu dem Referenzmodell kommt der Value-Chain-basierende Ansatz. Übersetzt heißt der Begriff die Wertkette oder die Wertschöpfungskette.  Sie hat ihren Ursprung in Lean Six Sigma und stellt die kundenorientierten Ergebnisse in den Mittelpunkt des Handels.

Die Wertkette stellt die Stufen der Produktion als eine geordnete Reihung von Tätigkeiten dar. Diese Tätigkeiten schaffen Werte, verbrauchen Ressourcen und sind in Prozessen miteinander verbunden. So definiert Wikipedia den Begriff.   

Die Wertschöpfungskette der IT nach IT4IT

Die Wertschöpfungskette der IT nach IT4IT

Den Begriff hat Michael E. Porter in seinem Buch Competitive Advantage 1985 das erste Mal erwähnt. Er schrieb dazu: „Jedes Unternehmen ist eine Ansammlung von Tätigkeiten, durch die sein Produkt entworfen, hergestellt, vertrieben, ausgeliefert und unterstützt wird. All diese Tätigkeiten lassen sich in einer Wertkette darstellen.“

Nimmst Du Deine IT-Abteilung als Unternehmen im Unternehmen oder einen externen Provider, so hat das auch für diese Unternehmen seine Gültigkeit, oder? 

Das ist spannend: Wenn wir es auf diese Grundlage beziehen, dann ist IT auch nicht mehr als eine Industrie. Das bedeutet für Dich und mich, dass wir alles, was wir an Methoden und Werkzeugen für Produktionsunternehmen kennen, auch in der IT einsetzen können.

Das leugnen viele ITler seit Jahren erfolgreich und genau deswegen kommt IT4IT mindestens 10 Jahre zu spät.

Ich bin überzeugt, dass die IT-Industrie mit einem Modell wie IT4IT schon viel, viel weiter wäre als sie heute ist. Ich möchte Dich an der Stelle auf das Interview mit Oliver Lindner verweisen – mit Ihm habe ich genau über die Industrialisierung der IT gesprochen.

Die Value Chain beschreibt die wichtigsten Dinge, die Du als interner oder externer Provider tun musst. Dinge, die Du gut tun musst. Und in diesem Fall meine ich wirklich musst.

Es geht auf der einen Seite um Effizienz, Vorhersagbarkeit und Wiederholbarkeit. Auf der anderen Seite darfst Du Dich auch darauf konzentrieren, Wettbewerbsvorteile zu schaffen und den Endkunden Deines Unternehmens im Blick zu behalten.

IT4IT ganz konkret

Dann lass uns jetzt in das Modell konkret einsteigen. Die IT-Value-Chain ist in zwei Kategorien unterteilt:

  • Hauptaktivitäten, die sich mit der Herstellung oder Lieferung von Waren oder Dienstleistungen, beschäftigen, für die die IT direkt verantwortlich ist.
  • Unterstützende Maßnahmen, welche die Effizienz und Effektivität der Hauptaktivitäten ermöglichen und fördern sollen.

 

IT4IT teilt die Hauptaktivitäten in vier einzelne Wertströme. Kurz noch zur Definition: Der Wertstrom, engl. Value Stream, ist die Gesamtheit aller wertschöpfenden und nicht-wertschöpfenden Geschäftsprozesse, die notwendig sind, um ein Produkt beziehungsweise eine Dienstleistung herzustellen und anzubieten, wobei der Strom auch über die Unternehmensgrenzen hinausgehen kann. (frei nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Wertstrom).

Verkürzt kannst Du sagen: In einem Wertstrom wird tatsächlich ein Wert für den Endkunden erzeugt. Während die unterstützenden Maßnahmen allein keinen Nutzen für diesen haben.

Die vier Wertströme und damit Hauptaktivitäten sind:

  • Strategy to Portfolio
  • Requirement to Deploy
  • Request to Fulfill
  • Detect to Correct
Übersicht der Wertströme in IT4IT

Übersicht der Wertströme in IT4IT

Wenn Du daran denkst, dass bei IT4IT der Business- oder IT-Service im Mittelpunkt steht, dann sind das alles Aktivitäten, die Du durchführen darfst, um einen Service zu planen, einzukaufen, zu produzieren und zu steuern. In Rahmen dieser Aktivitäten steht der Wert für das Geschäft, der Endkunden im Mittelpunkt.

Das ist Dein Kerngeschäft – egal ob IT-Abteilung oder Provider. Wie jede andere Fabrik, braucht es natürlich unterstützende Prozesse und Funktionen. Auch Querschnittsfunktionen genannt:

  • Governance Risk & Compliance
  • Sourcing & Vendor
  • Intelligence & Reporting
  • Finance & Assets
  • Resource & Project

Funktionen, die nicht unbedingt in der IT selbst ausgebildet werden brauchen. Du darfst für die Besonderheiten Deines Geschäftes natürlich eigene Ressourcen vorhalten oder das notwendige Wissen in den entsprechenden Fachabteilungen aufbauen.

Ich glaube, es ist wichtig, dass Du die IT und sich die IT selbst als Teil einer größeren Wertkette versteht. Das schließt die Nutzung vorhandener Funktionen und Prozessen im Unternehmen mit ein. Insbesondere, wenn es bei den unterstützenden Aktivitäten um Effizienz und Effektivität geht.

IT4IT Values Streams

Jetzt stelle ich Dir die vier Wertströme genauer vor:

Strategy to Portfolio (S2P)

Übersetzt: “Von der Strategie zum Portfolio.” In diesem Wertstrom geht es darum, aus der Geschäftsstrategie und den Zielen neue Services zu erstellen. Dabei wird der sogenannte “Konzeptionelle Service Blueprint” erstellt, welcher die Verbindung zwischen IT und Business zusammen mit einer abstrakten Service-Architektur darstellt. Stichworte in diesem Wertstrom: Enterprise-Architektur, Service Portfolio & Roadmap, Risiko, Kosten und Vorteile.

Aktivitätem im Wertstrom Strategy to Portfolio

Aktivitäten im Wertstrom Strategy to Portfolio

 

Requirements to Deploy (R2D)

Übersetzt: “Von den Anforderungen zum Rollout”. Hier wird festgelegt, wie der zukünftige Service aufgebaut ist, wer welche Komponenten liefert, wie er getestet und letztendlich zum Abruf bereitgestellt wird. Stichworte wie Service Design, Release, Test, Servicekatalog und Servicelevel spielen hier eine Rolle.

Aktivitäten im Wertstrom Requirements to Deploy

Aktivitäten im Wertstrom Requirements to Deploy

 

Request to Fullfill (R2F)

Übersetzt: “Von der Bestellung zur Auslieferung”. Dieser Wertestrom ist verantwortlich für die Überführung des Service in die Produktion, und dass er von Kunden konsumiert werden kann. Stichworte sind: Angebotsmanagement, Verrechnung, Servicekatalog, Request-Umsetzung und Auslieferung.

Aktivitäten im Wertstrom Request to Fulfill

Aktivitäten im Wertstrom Request to Fulfill

 

Detect to Correct (D2C)

Übersetzt: “Vom Erkennrn zum Beseitigen”. Hier geht es vor allem um die Integration von Monitoring, Verwaltung und andere operative Aspekte der Serviceerbringung. Es geht auch teilweise um das Betreiben der Dienste selbst. Stichworte: Event, Configuration Management, Incident, Problem und Change.

Aktivitäten im Wertstrom Detect to Correct

Aktivitäten im Wertstrom Detect to Correct

 

Beschreibung der Wertströme

Die Wertströme beschreiben die Zusammenarbeit der einzelnen Komponenten und die Schnittstellen dazwischen. Es ist an keiner Stelle die Rede von dem “Wie”. Jeder einzelne Wertestrom ist umfangreich beschrieben. Die Beschreibung beinhaltet:

  • Zielsetzung der Wertstroms
  • Der Nutzen für das Unternehmen (Business Value) – in der Regel geht es um die Erhöhung der Effizient, Senkung der Kosten und des Risikos sowie die kontinuierlich Verbesserung des Service.
  • Es werden kritischen Erfolgsfaktoren und die damit zusammenhängende KPIs definiert. Zum Beispiel im Request to Fulfill Value Stream ist ein Erfolgsfaktor das Vermögen den Kundenanforderungen gerecht zu werden. Die zugehören KPIs sind u.a. Anzahl der Kundenbeschwerden bzw. der Verletzungen von OLA und SLA oder die Anzahl der mit dem Serviceabruf zusammenhängenden Incidents.
  • Definition des Wertstroms an sich inkl. eines Architekturdiagramms und einer ausführlichen Beschreibung der einzelnen Komponenten.
Beispiel einer Architekturdiagramms eines Value Streams

Beispiel einer Architekturdiagramms eines Value Streams

Du bekommst einen umfassenden Überblick zu jedem Wertstrom – aus einer architektonischen Sicht. Genau das ist auch das Problem. Es ist eine abgehobene, vielleicht sogar wissenschaftliche Sicht auf das Geschäft eines Service-Providers.

Du darfst Dich im Vorfeld damit beschäftigen, wie die Notationen eines Architekturmodells aussehen. Bist Du mit TOGAF vertraut, ist das für Dich kein Problem. Wenn nicht, dann lies bitte zuerst das Kapitel über die Notation.

Meine Meinung

IT4IT enthält für Dich viele interessante Anregungen zur Serviceerbringung – das Durchkämpfen lohnt sich für Dich bestimmt.

Erwarte aber bitte nicht zu viel davon. Praktische, sofort umsetzbare Hinweise und Ideen gibt es nicht. Das Lesen und anschließende Verarbeiten kann bei Dir dazu führen, dass sich die eine oder andere Idee entwickelt.

IT4IT mach Dir deutlich, was es bedeutet Serviceprovider zu sein. Aufgrund des Architektur-Ansatzes wird Dir viel schneller deutlich, dass es kein Unterfangen ist, welches mal nebenbei erledigt wird.

Ich finde es spannend, dass Dierk Söllner und ich in unserem FitSM-Audiokurs einen den Value-Streams ähnlichen Ansatz gewählt haben.

FitSM zählt Prozesse und die Anforderung an diese auf. Ganz intuitiv habe ich dort die Prozesse für die einzelnen Lektionen zu Bündeln gepackt, um den Wertestrom darzustellen. Das das ein Wertestrom ist, fiel mir erst auf, als ich mich mit IT4IT für diesen Beitrag auseinander gesetzt habe.

Die Lektionen haben da Namen wie: “Vom Kunden zum Service”, “Vom Service zum Sourcing” oder “Vom Reporting zur Verbesserung”.

Ich glaube, dass, der Ansatz, den wir im FitSM-Kurs gewählt haben, ein praktikabler und umsetzbarer Ansatz ist. IT4IT ist die Metatheorie dazu.

Zusätzliche fehlen mir die Bereich Vertrieb und Marketing. Wenn wir über das Geschäft eines Providers reden, dann bitte auch und vor allem darüber.

Fazit

Wäre IT4IT vor 10 Jahren veröffentlicht worden, dann wären wir mit der Industrialisierung der IT schon weiter. Viel mehr Menschen hätten verstanden, dass IT keine Manufaktur, sondern eine Fabrik ist. Es gäbe die Menschen, die die Fähigkeiten haben, die uns heute fehlen. Ich denke da an das orchestrieren der Services, das Managen der Provider oder die Rolle des Service-Architekten. Höre Dir dazu mal die Interviews mit Oliver Lindner und Martin Andenmatten an. 

Meine Empfehlung: Schau Dir IT4IT an und lass Dir ein paar Ideen geben, was Du an Deinem Weg der Service-Erbringung verändern kannst.
Zusätzlich empfehle ich Dir den Artikel von Martin Andenmatten, der sich aus einem etwas anderen Blickwinkel IT4IT nähert.

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Robert Sieber
 

Robert Sieber ist Ex-CIO, Podcaster und Servicenerd. Seine Vision ist eine interne IT, die sich genauso einfach buchen, nutzen und bezahlen lässt, wie die Fahrt mit dem Taxi. Als Berater und Coach packt er ganz praktisch und pragmatisch bei seinen Kunden an, um echte Serviceorientierung zu dauerhaft zu etablieren. Robert Sieber vertritt einen pragmatischen und geschäftsfokussierten Weg für Service-Management. Als Berater sind für ihn gesunder Menschenverstand und offene Kommunikation wichtiger als Frameworks und Best Practices.

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