Bereite Dich bitte auf diese vier Stolpersteine beim Multiprovidermanagement vor!
Viele Veränderungen sind Wagnisse. Der Wandel vom "wir machen alles selber" ist so eine Veränderung. Dieser wohnen ganz viele Wagnisse inne. Wir wissen nicht, was genau passiert. Wir können uns überlegen, was passieren könnte. Die Stolpersteine identifizieren. Um vier mögliche Stolpersteine geht es in dieser Folge. Meine ganz aktuellen Erfahrungen möchte ich mit Dir teilen.
Du erinnerst Dich noch an meine Folge über SIAM – Service Integration and Management? Da hast Du gehört wie das Konzept funktioniert, und dass ich einen fehlenden Baustein für mein eigenes Providermanagement gefunden haben. Wenn Dir das nicht bekannt vorkommt, dann höre Dir bitte nochmal die Folge 68 an. Dann weißt Du wovon ich heute sprechen werde.
Wie jedes Framework oder jede neue Methode klingt auch bei SIAM alles logisch und verheißungsvoll. Und ob Du nun Anregungen aus SIAM für Dein Providermanagement oder aus anderen Quellen nimmst, ist egal – Du wirst einige Punkte identifizieren, die Deiner Organisation den Wandel hin zu einem Multiprovidermanagement schwer machen. Zu einigen dieser Stolpersteine möchte ich heute mit Dir meine Gedanken und Überlegungen teilen.
Wandel ist ein gutes Stichwort: Wie so vieles heute, ist ein Multiprovidermanagement ein Wandel der Organisation Deiner IT-Abteilung mit Auswirkungen in Dein ganzes Unternehmen.
Allein dieser Aspekt ist sehr vielseitig. Ich konzentriere mich heute auf einen ganz kritische Aspekt: Deine Kollegen.
Deine Kollegen
Ich nehme mal ein ganz aktuelles Beispiel, was ich diese Woche erlebt habe: Es war Montag und die Woche begann mit dem Ausfall von eMail. Nichts ging mehr raus oder rein. Zu diesem Zeitpunkt war es gerade mal 6:30 in der Früh. Also hat ein Kollege mit der Diagnostik begonnen: Queues im Mailserver checken und feststellen, dass der die Mails nicht an die FW weitersenden kann. FW checken und feststellen, dass die Platte vollgelaufen ist. Daten löschen mit nur sehr kurzfristigem Erfolg. Da die Erweiterung des Plattenplatzes ohne weiteres nicht möglich ist, haben wir einen neue virtuelle Maschine aufgesetzt und mit Hilfe des Backups wiederhergestellt. Mit etlichen großen und kleinen Problemen lief alles wieder um 8:20.
Das ist in einem klassischen Outsourcing nicht möglich. Da hast Du keinen Zugriff auf die Maschinen und kannst eingreifen. Nein, da hätten wir dann gewartet, bis jemand beim Provider rangeht und sich dann irgendwann drum kümmert. Deswegen auch gleich der Anruf bei der ersten Eskalationsinstanz, um die Dringlichkeit zu vermitteln.
Das sich dabei Deine Kollegen irgendwann quer stellen, ist nur logisch. Sowas verstehen die nicht unter Qualität.
Wer heute Deine Umgebung administriert, der wird sich mit einem Multiprovider-Betriebsmodell schwer tun. Der wird die Motivation verlieren und meckern, meckern, meckern. Irgendwann ganz öffentlich. Auch bei Deinen Kunden und Nutzern.
Warum? Weil er sich in solchen Situationen hilflos vorkommt. Er kann nichts machen.
In meinem Fall hat es deswegen funktioniert, weil wir trotz Outsourcing den Zugriff auf den größten Teil der Umgebung haben. Wir können bei unserem IaaS Anbieter das komplette virtuelle Datacenter verwalten. Wir haben Zugriff auf die Mailserver und Firewalls. Weil wir das Multiprovider-Konstrukt so gebaut haben.
Da sind wir dann schon beim zweiten Stolperstein: Die Vertragsgestaltung. Dazu gleich mehr.
Die Produktion an einen Externen auszulagern bedeutet, dass die Aufgaben in der IT sich massiv verändern. Du brauchst weniger Kollegen, die IT betreiben können. Du brauchst mehr Kollegen, die Provider managen können.
Im Interview mit Martin Andenmatten, haben wir die 7 Helden des wilden IT-Service-Management identifiziert:
- Chris KUBESEV – Held für gute Kundenbeziehungen und Service Vereinbarungen
- Chico SAUSORCH – Held für Service Automatisierung & Service Orchestrierung
- Lee SUCON – Held für Supplier & Contract Herausforderungen
- Britt COMQUSI – Held für Compliance und Qualitätssicherung
- Vin CYRDEP – Held für Cyber Resilience & Defence Problemstellungen
- Harry SERDESUC – Held für Service Delivery & Support-Coordination
- Bernardo TINREDUR – Held zur Tool-Integration & Reporting Durchsetzung
Alles dazu hörst Du in der Folge 28.
Du wirst Menschen, die mit Leib und Seele Administrator sind, nicht für die neuen Tätigkeiten begeistern können, wenn diese das nicht wollen. Im Gegenzug bist Du auf Mitarbeiter angewiesen, die die Aufgaben im Multiprovidermanagement ordentlich erfüllen können. Sie sind fokussiert auf das wie. Du brauchst Menschen, die sich auf das Ergebnis fokussieren und nicht den Weg dahin.
Das ist auf mittlere Sicht, ein ganz großer Stolperstein.
Vertragsgestaltung
Nummer zwei habe ich schon angesprochen: die Vertragsgestaltung. Mit dem Beispiel ist einer der vielen vertraglichen Aspekte deutlich geworden. Oder besser gesagt ein Widerspruch: Mit dem Provider werden Servicezeiten vereinbart. Häufig richtet sich das nach der Höhe der Kosten und es wird ein Kompromiss eingegangen.
Das ist in Zeiten, in denen es keine großen Probleme gibt, kein Problem. Das wird zum Problem, wenn es eine große Störung gibt. Klar, weil früher haben Du und Deine Kollegen auch außerhalb der Zeit Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit es wieder funktioniert.
Das darf und kann niemand von einem Provider erwarten. Die Mitarbeiter Deines Providers haben keine Ahnung, womit Dein Unternehmen sein Geld verdient. Für die ist eine Störung, eine Störung unter vielen. Das ist nicht negativ gemeint. Ich möchte Dich darauf hinweisen, dass Du bei der Vertragsgestaltung ganz genau aufpassen darfst:
Was braucht Dein Unternehmen wirklich. Die Entscheidung zum Vertragsinhalt ist nichts, was Du allein triffst. Das ist eine Entscheidung des gesamten Unternehmens. Und hier wird viel zu oft nach dem Motto: „Wird schon gut gehen“ gehandelt. Was meine ich damit?
Wieder ein Beispiel: vor vielen, vielen Jahren wurde ein Vertrag mit einem Dienstleister für ein unternehmenskritisches System geschlossen – zu seinen Standardbedingungen. Und in denen steht, dass selbst bei einem Totalausfall die Reaktion 1 Tage dauern kann. Einen Tag!
Die Realität ist eine andere: Es darf nicht mal eine Stunde dauern und dann am besten noch Wiederherstellung und nicht Reaktion. Und das schon bei weniger kritischen Störungen. Und da hat der Dienstleister bis zu 5 Tage Zeit für eine Reaktion.
Dein Unternehmen darf sich bei den Verträgen mit den Lieferanten nicht einzig vom Geld leiten lassen. Du darfst vor allem darauf verzichten das Standardvertragsangebot des Dienstleisters anzunehmen. Je wichtiger eine eingekaufte Leistung für Dein Unternehmen ist, umso mehr Augenmerk darfst Du auf die Vertragsgestaltung legen.
Eines darf uns bewusst sein: Der Standardvertrag des Lieferanten ist deswegen Standard, weil er vor allem die Belange des Providers in den Mittelpunkt stellt. Bei allem was Dir ein Provider anbietet, ist er darauf bedacht, sein Risiko zu minimieren und mit einer möglichst standardisierten Leistung sein Geld zu verdienen.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass der Provider Geld verdient – im Gegenteil, sonst kann er keine gute Leistung anbieten. Eine gute Leistung im Sinne Deines Unternehmens erbringt er aber nur, wenn die Leistungen und Verträge auf Deine Bedürfnisse abgestimmt sind.
Das betrifft insbesondere auch die Zusammenarbeit der Provider untereinander. Das mir fehlende Stück, welches ich in Folge 68 (LINK) für mich identifiziert hatte. Regele bitte im Vertrag, wie mit den Working Groups, Process Forums und Boards verfahren wird und was der Lieferant dafür berechnen darf.
Bevor wir damit zum dritten Stolperstein kommen, vier Punkte, die mit dem Blick auf die Vertragsgestaltung für Dein Unternehmen wichtig sind:
- Der Lieferant muss akzeptieren, dass Du als Service Integrator der einzige Ansprechpartner für ihn bist. Er muss akzeptieren, dass Du die Stimme des Kunden bist und ihn vertrittst.
- Dein Unternehmen muss akzeptieren, dass Du als Service Integrator das Interface zu den Service Providern bist und Du quasi der Generalunternehmer
- Alle zusammen dürfen sich auf die Ergebnisse konzentrieren. Also was kommt am Ende für ein Service mit welche Qualität für Dein Unternehmen raus.
- Lege Dein Augenmerk auf Kooperation und Kommunikation – zwischen Dir und den Lieferanten und den Lieferanten untereinander. Ihr dürft eine Kultur etablieren, die nach dem Motto „Fix first, argue later“ funktioniert
Zusammenarbeit
Stolperstein Nummer drei: Die Zusammenarbeit.
Was innerbetrieblich nicht optimal funktioniert, soll besser werden, wenn Externe mit kommerziellen Interesse dazu kommen? Die vielleicht noch untereinander in Konkurrenz stehen?
Mag sein, dass das leicht sarkastisch klingt und es trifft den Kern der Sache. In unseren Silos und Türmen, wird der schwarze Peter von links nach rechts geschoben. Das wird nicht besser, nur weil Du die internen durch die externen Königreiche ersetzt.
Hast Du die Verträge nach Deinen Wünschen und Vorgaben gestaltet, dann fängt die Arbeit an: Das Umsetzen und Durchsetzen der Absprachen.
Ich habe es schon oft erlebt, dass im Vertriebsprozess alles kein Problem ist. Im Livebetrieb, sieht es dann ganz anders aus. Entweder die operativen Einheiten wissen gar nicht, was vereinbart wurde oder es wird darauf gesetzt, dass Dir schnell die Puste ausgeht und alles wieder nach Schema F läuft.
Dem entgegen zu wirken ist eine wichtige und anstrengende Aufgabe. Wenn Du Erfahrung in der Mitarbeiterführung oder Kindererziehung hast, dann bist Du ganz klar im Vorteil. Dann weißt Du, dass Du verbindlich, hartnäckig und konsequent sein darfst. Du weißt, dass Du mit Lob mehr erreichst als mit Strafen und dass es immer wieder Rückschläge gibt.
Um nur mal ein Beispiel rauszugreifen: Nach dem Vertragsabschluss ist es bedeutend, dass Dein neuer Lieferant in das Incident-Management integriert wird. Das heißt, dass die Schnittstellen und die Kommunikationswege zwischen Dir und dem Lieferanten sowie zwischen den einzelnen Lieferanten definiert und umgesetzt werden. Der neue Lieferant darf in die entsprechenden Working Groups, Process Forums und Boards integriert werden. Er muss lernen, in Deiner Umgebung, Deinem Ecosystem seine Leistungen umzusetzen.
Und Du darfst diesen Prozess begleiten. Du beobachtest, unterstützt und korrigierst. Du pochst konsequent auf die Einhaltung der entsprechenden Regeln und Absprachen. Nur so, wird das irgendwann funktionieren.
Es einfach laufen zu lassen und dann irgendwann mal zu eskalieren, weil es nicht funktioniert, ist als gern genommener Ansatz zum Scheitern verurteilt.
Das betrifft natürlich alle Prozesse, nicht nur das Incident-Management. Die Intensität wird nachlassen. Du darfst nur nie nachlässig werden. Abweichungen vom gewünschten Zustand sind immer wieder anzusprechen.
Geld
Der vierte Stolperstein ist finanzieller Natur.
Money makes the world go round, so sang Liza Minelli. Und das nicht nur im Film „Cabaret“. Dein und mein Unternehmen treibt es auch an. Und Deine Provider natürlich auch. Und alle haben Angst, dass sie übervorteilt werden und Geld verlieren.
Das Ziel darf sein, dass alle Seiten das Gefühl haben, dass sie fair behandelt werden und am Ende auch etwas herausspringt. Auf der einen Seite Du und Deine Organisation, die eine adäquate Leistung und Qualität für ihr Geld möchten. Auf der anderen Seite Deine Lieferanten, die ihren Aufwand decken müssen, um profitabel zu sein.
Das ist der Grund warum viele Kunden auf die Pönalen in den Verträgen stehen und Provider diese bereitwillig anbieten. Der Kunde denkt, er bekommt damit wenigstens Geld zurück, wenn was schief geht. Der Lieferant deckelt damit sein Risiko und hat das alles einkalkuliert.
Da kann es doch nur Verlierer geben, oder? Wenn schon bei der Vertragsgestaltung über die Vertragsstrafen intensiv verhandelt wird, dann ist das mit dem Vertrauen nicht weit her. So zumindest in meiner Welt.
Ich glaube, dass alle Seiten mit offenen Karten bzw. Open Book spielen dürfen. Es braucht eine Zeit, bis Aufwände realistisch kalkuliert werden können und bis der Kunde weiß, was er wirklich will und braucht. Diese Zeit darfst Du Dir und Deinen Lieferanten geben. Alles andere lastet auf Eurer Beziehung.
Augen auf!
Das waren jetzt vier der vielen möglichen Stolpersteine. Das sind vier, die mir momentan selber unterkommen und mit denen ich mich rumschlagen darf. Schau Dir einfach an, wie Du mit den Stolpersteinen umgehen willst und kannst. Auf jeden Fall brauchst Du nicht selber drüber zu stolpern!
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