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IT-Hotline – Fluch oder Segen?

Wer gibt schon gern ein Ticket auf, wenn er den nette Kollegen aus der IT doch gleich direkt anrufen kann. Das ist ein großes Plus bei der Zufriedenheit der Nutzer. Gleichzeitig ein dickes Minus für die IT-Abteilung selbst. Warum ist das so und was kannst Du tun, damit die Nutzer das Self-Service-Portal bevorzugen?


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Heute habe ich Dir ein brandheißes Thema aus dem Servicenerds.Camp mitgebracht. 30 Menschen haben sich letzten Donnerstag und Freitag getroffen und zum insgesamt 11. Mal über alles rund um Service-Management gesprochen.

Die IT-Hotline war Thema der Session von Raik Pechfelder und ich überlasse ihm das Wort, die Ausgangssituation zu schildern:

Setting ist klar? Eine kleine IT-Abteilung mit vielen Nutzern, die am liebsten mit den IT-Mitarbeitern direkt sprechen wollen, wenn was schief geht. In der Theorie sollte das Telefon nur für Notfälle da sein.

Ich glaube, dass ist eine Situation, die Du bestimmt schon mal erlebt hast. Zumindest ich hatte genau diese Diskussion in dieser Woche noch mit zwei Kunden.

Klar, wir können jetzt einfach sagen, dass es direkte Anrufe nicht mehr gibt, dass die Durchwahlen geändert werden und dass alle Anfragen nur noch über das Portal zu erfolgen haben.

Kennst Du ein Unternehmen, in dem dieser Ansatz schon mal funktioniert hat und die Nutzer vor Freude in die Luft gesprungen sind? Meinem Kopf fällt es schwer, da Beispiele zu finden, bei denen das kurz- und mittelfristig nicht zu unzufriedeneren Nutzer geführt hat.

Da entsteht meist der geflügelte Satz „Schreib mal ein Ticket.“ 30% der Nutzer gucken dann mitleidig und lassen es ganz sein. Das ist bestimmt nicht, was Du damit erreichen möchtest, oder?

Leichte Panik – Was passiert im Menschen?

Lass uns mal ein wenig in den Menschen rein gucken. Lass mir Dir folgende Geschichte erzählen: Ich bin früher gern und viel Auto gefahren. Allerdings habe ich null Ahnung von Autos. Ich kann sie fahren, der Rest interessiert mich nicht.

Ich fuhr gerade mit meiner Frau nach Hause und plötzlich leuchtete die Motorkontrollleuchte oder die Öllampe auf. Weiß ich nicht mehr genau. Beides noch nie gesehen. Bei nächster Gelegenheit angehalten und die Bedienungsanleitung aufgeschlagen. Ja, sowas lese ich.

Da stand sinngemäß drin: „Nicht weiter fahren. Gefahr von Motorschaden. Sofort Werkstatt aufsuchen.“

Wie gesagt, ich habe keine Ahnung von Autos. Es war Sonntag – keine Werkstatt offen. Leichte Panik, weil kaputt machen wollt ich nichts. Was habe ich getan? Bei mir zu Hause gibt es um die Ecke eine Werkstatt, bei der ich Kunde bin. Die hat natürlich sonntags nicht auf. Glücklicherweise habe die Handynummer des Inhabers und den habe ich dann auch angerufen.

Der war nicht sehr erfreut, dass ich um diese Uhrzeit anrief. Und schon gar nicht deswegen, weil man wohl locker noch ein paar Kilometer fahren kann.

Für mich war die Situation nicht überschaubar: Soll ich das Auto stehen lassen? Ist was ernsthaft kaputt? Wie komme ich nach Hause? Also so ganz leichte Panik. Durch die es mir adäquat erschein, am Sonntag da anzurufen.

Und so ganz ähnlich geht es den Menschen bei Dir im Unternehmen. Für die ist das, was gerade an ihrem Rechner passiert ist, ein wirkliches Problem. Die sind verunsichert. Haben vielleicht sogar etwas Angst oder ganz viel Druck.

Was ist in der Situation das Beste? Mit jemanden sprechen, der sich damit auskennt. Also Telefonhörer in die Hand und den netten Kollegen aus der IT anrufen, der schon beim letzten Mal so gut und schnell geholfen hat.

Kannst Du das Nachvollziehen?

Für den Menschen ist das Problem gerade fürchterlich real. Auch wenn es aus Sicht der IT nur eine Kleinigkeit ist und der Nutzer ja dann was anderes machen kann.

Ja, ich hätte auch weiterfahren können oder ein paar hundert Meter zurück zur Tankstelle laufen können. Nein, der weiß immer was mit dem Auto ist und da bin ich in guten Händen.

Was hältst Du von der Theorie: „Der Anruf ist ein Vertrauensbeweis.“

Das kann gut sein. Auf der anderen Seite ist es häufig auch die Erfahrung bei den Nutzern, dass diese Tickets zwar irgendwann bearbeitet werden. Betonung liegt auf irgendwann.

Anfragen kanalisieren

Wenn wir wollen, dass ein großer Teil der Tickets über das Portal oder notfalls per eMail kommt, dann dürfen wir dafür etwas tun. Das Serviceerlebnis sollte so nah wie möglich an dem liegen, was ich habe, wenn ich anrufe.

Ganz werden wir das nie schaffen. Wir werden auch nie die Hotline an sich abschaffen können. Das ist aus meiner Sicht nicht im Sinne des Unternehmens. Wir können es schaffen, dass die Mitarbeiter den bevorzugten Weg wählen, wenn wir uns Mühe geben.

Was bedeutet der bevorzugte Weg? Was bedeutet Mühe geben?

Du darfst natürlich entscheiden, welches der bevorzugte Eingangskanal für Deine Tickets ist. Ich denke, dass es in vielen Fällen darauf hinausläuft, dass es der portalbasierte Weg sein wird. Sei es wirklich über das Webportal, App oder über einen Chatbot. Dadurch hast Du viele Möglichkeiten, das Serviceerlebnis zu gestalten.

Damit das jetzt nicht chaotisch wird, konzentriere ich mich auf das klassische Portal.

4 grundsätzliche Hinweise

Doch bevor wir darüber sprechen, habe ich noch ein paar grundsätzliche Punkte:

  • Es darf zu jedem Zeitpunkt mindestens einen Mitarbeiter geben, dessen Hauptaufgabe es gerade ist, Tickets zu bearbeiten. Das ist nämlich der größte Vorteil des Anrufs: Den, den ich da anrufe, der muss sich mit mir beschäftigen.

    Das kannst Du als rotierendes System etablieren oder auf einige Mitarbeiter konzentrieren. Je nachdem, was für Dich passt.

    Dieser Mitarbeiter bearbeitet alle eingehenden Tickets und geht ans Telefon.

  • Ich würde immer eine zentrale Telefonnummer schalten, bei der die Mitarbeiter anrufen können. Diese würde ich mit einem Anrufbeantworter und der Möglichkeit Ansagen abzuspielen ausstatten. Diese Ansagen können auf das Portal oder auf aktuelle andauernde größere Störungen hinweisen.
    Gerade bei größeren Störungen legen dadurch viele wieder auf.

    Kann der Mitarbeiter gerade nicht rangehen, dann wird aus der Nachricht auf dem Anrufbeantworter automatisch ein Ticket. Idealerweise nutzt Du hier Speach-to-Text-Engines, damit das alles im Ticket schon drin steht. Erleichtert die Arbeit.

  • Kommuniziere mit Deinen Nutzer über Telefon. Wir sind Menschen und wir wollen am liebsten mit Menschen arbeiten. Deswegen versuche bei Rückfragen den Nutzer anzurufen. Nicht alles über eMail. In vielen Fällen verzögert das nur. Wenn der Nutzer nicht ran geht, dann natürlich eine Mail.
  • Etabliere einen Kommunikationskanal für Informationen der IT. Da kannst Du alle Nutzer informieren, wenn es größere Störungen gibt. Das sorgt für Entlastung.

4 Anregungen für ein besseres Portal

Jetzt las uns mal ins Portal gucken:

  • Mach es den Menschen einfach, Ihr Problem zu beschreiben. Ein Problem mit Tickets ist, dass da häufig sehr unspezifisch drin steht, worum es geht. Dem Nutzer fällt es schwer, zu artikulieren, worum es geht.

    Erstelle eine Liste der 10 häufigsten Incidents und nutze diese als Ticketvorlagen. In diesen Ticketvorlagen stellst Du dann ganz spezifische Fragen, um das Problem einzugrenzen, damit Du später schnell helfen kannst.
    Beispiel: Der Nutzer klickt auf Störung melden und sieht als erste eine Auswahl dieser häufigsten Störung. Er findet den Punkt „es druckt nicht“. Klickt drauf und danach wird er gefragt, was wollten Sie drucken? Zur Auswahl gibt es dann Angaben wie: ein Dokument aus einem Officeprogramm, ein Etikett im Lager oder ein Dokument aus SAP. Da klickt der Nutzer drauf und im letzten Schritt dann die nächste dafür spezifische Frage.

  • Auch in die Kategorie „mach es einfach“ fällt folgende Empfehlung: Nutze die Daten, die Du hast. Du weißt über Deine CMDB welche Services und welche Assets der Nutzer hat. Da kannst Du ihn fragen, womit er ein Problem hat. Oder wenn es um eine Störung am Client geht, welches Asset ist denn betroffen.
    Viele Fragen und Möglichkeiten lassen sich durch die Nutzung der Daten und Beziehungen beantworten und vermeiden.

  • Frage explizit nach der Dringlichkeit. Lass den Nutzer es selbst einordnen. Wie stark ist seine Arbeit eingeschränkt? Und dann Antworten wie beispielsweise: „Ich kann meine Aufgabe nicht abschließen und habe dafür eine Deadline innerhalb der nächsten 8 Stunden.“ oder „Ich kann nicht weiter arbeiten, aber ich kann erstmal etwas anderes erledigen.“. Damit stößt Du den Nutzer auch drauf, dass er erstmal was anderes erledigen kann. Dieses Framing verändert was im Kopf des Nutzers.

    Vielleicht ist es sogar hilfreich zu fragen, bis wann eine Lösung erwünscht ist.

  • Das Portal hat den entscheidenden Vorteil, dass Du dem Nutzer die wunderbaren Wissensartikel und Anleitungen präsentieren kannst, damit er sich selbst helfen kann. Wenn die gut sind und im richtigen Kontext angezeigt werden, dann werden dadurch einige Tickets obsolet.

Ein letzter Tipp: Ich erlebe es immer häufiger, dass die Menschen die IT mit inhaltlichen Fragen kontaktieren. Da geht es nicht um die Technik oder eine Störung, sondern beispielsweise um die Frage: „Wie lege ich einen Lagerplatz an.“

Bei einem meiner Kunden sind fast 60% der Tickets solche inhaltlich-fachlichen Anfragen. Wenn das bei Dir auch so ist, dann darfst Du über Keyuser in den Fachabteilungen nachdenken. Also Menschen, die die Prozesse und die dafür eingesetzten Applikation selbst gut kennen und den Kollegen so viel schneller und besser weiterhelfen.

Das sind meine Gedanken zu dem Thema. Zum Schluss hier noch der Originalton aus der Session von Raik. Zusammengefasst von einer der Teilnehmerinnen:

Robert Sieber
 

Robert Sieber ist Ex-CIO, Podcaster und Servicenerd. Seine Vision ist eine interne IT, die sich genauso einfach buchen, nutzen und bezahlen lässt, wie die Fahrt mit dem Taxi. Als Berater und Coach packt er ganz praktisch und pragmatisch bei seinen Kunden an, um echte Serviceorientierung zu dauerhaft zu etablieren. Robert Sieber vertritt einen pragmatischen und geschäftsfokussierten Weg für Service-Management. Als Berater sind für ihn gesunder Menschenverstand und offene Kommunikation wichtiger als Frameworks und Best Practices.

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