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Was zur Hölle ist denn nun ein Service?

Wir Menschen im IT-Service-Management können uns trefflich darüber streiten: Was ist ein Service? Wie wird der Begriff Service definiert. Wir tun uns damit auch schwer. Daher schauen wir heute mal in die reale Welt. Was ist dort ein Service und wie können wir das auf die IT übertragen.


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In Folge 57 haben wir beide die Begriffe Service und Service Request auseinandergenommen. Die Folge hat ziemlich viele Downloads. Da habe ich wohl einen Nerv getroffen.

Per eMail schrieb mir Marc, dass er jetzt drei Leute kennt, die den Unterschied zwischen Service und Service Request kennen.

Ich konnte ihm versichern, dass ich noch weitere Menschen kenne, die den Unterschied bewusst wahrnehmen.

Unter dem Beitrag im Blog  diskutiere ich mit Duffy über den Service an sich. Also was ist ein Service. Eine wirklich sehr spannende Diskussion, an der Du Dich unbedingt beteiligen solltest.

 

Aus der Summe der Reaktionen, die ich auf die Folge 57 bekommen habe, habe ich das Gefühl, dass wir über den Begriff Service einmal intensiver sprechen sollten.

Insbesondere darüber, was ein Service ist.

Tankstelle

Starten wir mit dem Beispiel, welches Daffy im Kommentar anführt:

Die Tankstelle. Wie ich finde, ein dankbares Objekt. Daffy schreibt:

„Ich fahre zur Tankstelle. Wobei eher – ich fuhr! Gibt es ja als Service auf einer Tankstelle heute nur noch Brötchen aufbacken – aber fürs Beispiel:

“Tanken und Öl nachsehen”, waren so meine Order beim Tankwart.

Das war bei meiner Heimtankstelle eigentlich fast ein gebündeltes Gesamtservice. Obendrauf noch unaufgefordert “Scheiben waschen”.

Würde ich im Katalog als Services anbieten: Tanken, Ölprüfung und Scheiben säubern.

Nehmen wir jetzt das Tanken als Service heraus: Die Zapfsäule, unsere Infrastruktur dafür, ist schön in der Tankstellen-CMDB gepflegt, bietet mir Diesel und 2 Benzinsorten.

Wenn auf der Rolle Tankwart hängend, dann sind Diesel tanken und Benzin 95, 98 nicht als einzelne Services im Katalog zu finden? Was aber wären dann diese?“

Du fragst Dich, warum das so gut passt?

Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig die Wahl des Geschäftsmodells, für die Ausprägung des Service ist. Egal ob für das Geschäftsmodell der Tankstelle, eines Providers oder Deiner IT-Abteilung.

Du als Tankstellenpächter kannst Dich entscheiden, ob Du den gesamten Tankvorgang als Dienstleistung anbietest. Alternativ betreibst Du eine Zapfsäule mit verschiedenen Sorten Treibstoff, an denen sich der Kunde selbst bedient.

Übertragen wir das auf die IT:

Du kannst Dich dafür entscheiden, Business Services anzubieten. Das sind Dienste, die einen Geschäftsprozess Ende zu Ende unterstützen. Ich übersetze das immer mit „geschäftsfokussierten IT-Dienste“.

Auf der anderen Seite kannst Du genauso gut Dich auf das Bereitstellen einzelner IT-Komponenten fokussieren.

Wofür entscheidest Du Dich?

In beiden Rollen – als Tankstellenpächter und als IT-Abteilung oder Provider – hat diese Entscheidung Auswirkungen. Schauen wir uns das bei der Tankstelle und dem Service Tanken an:

  • Du nimmst dem Kunden den kompletten Tankvorgang ab
  • Du übertriffst die Erwartung des Kunden, indem Du Dich auch um den Ölstand und die Scheiben kümmerst
  • darüber steuerst Du die Möglichkeiten eines Upsell – Du verkaufst bei Bedarf dem Kunden noch das Öl
  • dieser Service schafft eine große Kundenbindung und senkt die Vergleichbarkeit zur Tankstelle nebenan, die einfach nur Zapfsäulen aufbaut
  • damit das funktioniert brauchst Du das entsprechende Personal, hast also Kosten, die die Tankstelle nebenan nicht hat
  • daraus ergibt sich eine andere Kalkulation und damit höhere Kosten für den Kunden oder weniger Gewinn für Dich

Als Anbieter von Business Services oder Service Broker, hat Deine Entscheidung folgende Auswirkung:

  • Du stellst die IT-Leistung für einen gesamten Geschäftsprozess zur Verfügung
  • Du koordinierst die einzelnen Servicebeiträge Deiner Lieferanten zu einem Gesamterlebnis für den Nutzer
  • Du übernimmst die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit und Performance des Service – Ende zu Ende
  • Du erreichst damit eine große Kundenbindung und bist mit anderen Anbieter nicht oder kaum vergleichbar
  • Du brauchst Personal, welches die Geschäftsprozesse versteht und in der Lage ist, entsprechende Servicearchitekturen zu bauen
  • Du brauchst Personal, welches Deine Lieferanten steuern kann
  • daraus ergibt sich eine Kalkulation, die klar gegen den Wert für das Business geprüft werden kann

Entscheides Du Dich für das Aufstellen der Zapfsäulen bzw. die Bereitstellung einzelner IT-Komponenten, dann folgt daraus:

  • Dein Angebot ist vergleichbar und Du als Lieferant austauschbar
  • der Kunde entwickelt zu Dir als Anbieter keine ausreichende Beziehung
  • das Entscheidungskriterium ist der niedrigste Preis

 

Ich gehe ein Stück weiter: Das Anbieten von Zapfsäulen ist gar kein Service. Das ist der Verkauf von Produkten. Genau wie der Verkauf aufgebackener Brötchen oder anderen Fastfoods an der Tankstelle.

Wie siehst Du das? Liege ich da mit dem Gedanken richtig?

Beim Anbieten von IT-Komponenten ist das nicht ganz so klar. Wenn Du der Fachabteilung Infrastruktur anbietest, dann ist das schon irgendwie ein Service. Wobei bei AWS oder Azure kauf ich das auch alles quasi als Produkte ein.

Da kann sich der Fachabteilungsleiter schon fragen, warum die interne IT darum so viel Aufhebens macht.

Darüber möchte ich jetzt nicht streiten. Sondern Dich auf einen wichtigen Aspekt hinweisen:

Du bist nicht ganz frei in der Entscheidung. Die Wahl Deines Geschäftsmodells ist abhängig von den Bedürfnissen und Problemen Deiner Kunden.

Bedeutet für Dich: Schau Dir an wer Dein Kunde ist und was er bei Dir beziehen möchte.

Arbeitest Du beispielsweise für die interne IT eines Softwareherstellers, dann werden Deine Kunden schon VMs für die Entwicklung und das Testen bei Dir bestellen wollen.

Wobei Du es nicht dabei belassen brauchst. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kollegen dankbar sind, wenn Du eine komplette Entwicklungs- und Testumgebung inkl. Automatisierung zur Verfügung stellst.

Das wäre dann schon wieder der Service Tanken – ein Business Server.

 

Ich kann mir kaum ein Szenario vorstellen, bei dem eine IT-Abteilung ausschließlich Infrastruktur bereitstellt. Nicht falsch verstehen – das das geht, beweisen viele IT-Abteilungen jeden Tag.

Ich muss das anders formulieren: Ich kann mir kaum ein Szenario vorstellen, in dem die Fachabteilungen von der IT lediglich Infrastruktur geliefert haben wollen. Die wollen eigentlich immer Ende-zu-Ende Services.

Sicher, die Unternehmen mag es geben. Dann behaupte ich jetzt mal kühn, dass kommt daher, dass es technologische Silos im Unternehmen gibt, die eine solche Struktur hervorbringen.

Also sowas wie die Storageabteilung, die den Virtualisierern und den Datenbankern die Terrabytes verkauft.

Der Servicebegriff

Mir fällt gerade auf, dass ich die Eingangsfrage gar nicht beantwortet habe: Was zu Hölle ist ein Service?

Ich wiederhole mich da gern: Ein Service ist ein Bündel von Nutzeffekten.

Lass uns das beim Tanken überprüfen. Welche Nutzeffekte habe ich. Mir fallen dabei folgende ein:

  • meine Auto ist vollgetankt und ich kann unbesorgt weiterfahren
  • ich bin mir sicher, dass der Ölstand stimmt und der Motor die nächsten x-tausend Kilometer keinen Schaden aufgrund mangelnden Öls nimmt
  • ich habe klare Sicht und kann so viel vorausschauend fahren, Benzin sparen und Unfälle vermeiden

Habe ich an der Zapfsäule selber getankt, selber nach Öl geschaut und selber meine Scheiben geputzt, dann habe ich denselben Nutzen, oder?

Dann ist das eine Self Service. Mit dem Nachteil, dass meine Hände ggf. nach Benzin oder Diesel riechen, weil es an der Zapfsäule keine Tankhandschuhe gibt.

Noch ein Nutzen für den Service Tanken.

Das heißt, durch das Konsumieren eines Service, kann ich einen Nutzen für mich bzw. das Unternehmen realisieren. Der Service allein bringt keinen Nutzen.

Wenn niemand an die Tankstelle fährt, dann hat auch keiner einen Nutzen.

Ich muss den Service auch nicht besitzen, um den Nutzen zu realisieren. Sonst müsste ja jeder Deutsche mindestens eine Zapfsäule sein Eigen nennen.

Bei der Recherche zum Servicebegriff bin ich über folgende Definition gestoßen. Diese stammt von Steven Alter von der Universität San Francisco:

„Services are acts or groups of acts performed with the intention of providing outcomes for the benefit of others“

Ich versuche mich mal an der Übersetzung: „Services sind Handlungen oder eine Gruppe von Handlungen, die mir der Absicht durchgeführt werden, um Vorteile zu Gunsten eines anderen zu erzeugen.“

Ok. Wichtig sind zwei Punkte: Handlungen und Vorteile

Geht also einfacher: Services ARE Acts that RESULT IN Outcomes – Services sind Aktivitäten, aus denen Ergebnisse resultieren.

Oder umgedreht: Services ARE Outcomes, RESULTING FROM Acts.- Services sind Ergebnisse, die aus Aktivitäten resultieren.

Die letzten beiden Definitionen sind von Charles Betz. Dem Mann hinter IT4IT.

 

Meine Worte dazu: Jemand macht etwas und ein anderer hat dadurch einen Nutzen bzw. Ergebnis. Im Falle der IT heißt das dann: Etwas macht was und ein andere hat dadurch einen Nutzen bzw. Ergebnis.

[easy-tweet tweet=“Was ist ein #Service ? Services sind Aktivitäten, aus denen Ergebnisse resultieren!“ user=“the_bsm_buy“ hashtags=“itil,itsm“]

Prüfen wir doch das gleich am beliebten Workplace Service. Ist das wirklich ein Service? Gibt es da etwas oder jemanden, der eine Aktivität durchführt und jemanden, der einen Nutzen hat?

Ne. Das Ding steht auf meinem Arbeitsplatz ist aus oder verbraucht Strom.

Das ist kein Service.

Packe ich das Endgerät, das Drucken und den Internetzugang in ein Paket, dann kann ich von Service sprechen. Denn ich kann drucken und im Internet surfen. Die dafür notwendigen Aktivitäten finden größtenteils außerhalb des Endgerätes statt – ohne geht es auch nicht.

Das Endgerät allein ist ein Produkt. Es spricht nichts dagegen, wenn Du in Deinem Servicekatalog auch Produkte anbietest.

Scheindiskussion

Unser Endkunde und Nutzer macht sich eh keine Gedanken darüber, was ein Service ist. Wobei das kein Freifahrtschein ist, um Produkte durch das Wort Service aufzuwerten.

Es ist eine Scheindiskussion. Die eigentliche Frage scheint mir: Wie finde ich die richtigen Services für meine Organisation. Oder?

Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Gehe folgende Punkte durch, um für Dich eine Antwort zu finden:

  • Wer ist Dein Kunde?
  • Welche Anforderungen an Deine Leistung hat er?
  • Was ist die größtmögliche Ende-zu-Ende Abstraktion, die Du Deinem Kunden zumuten kannst?
  • Wie kannst Du Deinem Kunden das „Einkaufen“ bei Dir so einfach wie möglich gestalten?

Die letzten beiden Punkte mag ich Dir kurz erläutern:

Wichtig bei der Definition ist der Reifegrad Deiner Organisation. Wenn Du in einer Organisation tätig bist, die in den letzten 15 Jahren drauf trainiert wurde, in IT zu denken, dann sind kleine Schritte wichtig.

Du wirst kaum Akzeptanz für einen Service „Eingangsrechnung verbuchen“ finden. Dann ist der erste Schritt vielleicht einen Service Kreditorenbuchhaltung anzubieten. Oder noch weiter unten: Einen Service Navision.

Mir schmerzt es hier Service zu sagen. Da muss ich durch. Weil das Ziel ist eine Serviceorientierung im Unternehmen zu etablieren. Und das geht manchmal nur in kleinen Schritten und mit ein paar Kompromissen.

Und wie gesagt: Deine Kunden machen sich wahrscheinlich keine Gedanken, ob der Service wirklich ein Service ist.

Der letzte Punkt: Ein Servicekatalog mit 350 Services ist in den meisten Fällen einfach nur doof. Wer sieht denn da noch durch?

Deswegen wieder zurück zu Punkt 3: größtmögliche Abstraktion. Lassen sich Services zu Servicebündeln zusammenfassen? Wie wäre es mit dem Service „Arbeitsplatz Buchhalter“? Der umfasst dann alles, was der Mitarbeiter in der Rolle braucht.

Wenn Du Dir darüber Deine Gedanken gemacht hast, dann spielt noch folgende Frage eine Rolle:
Wo willst Du mit Deiner IT hin?

An der Stelle setzen wir dann in der nächsten Folge fort: Da werden wir beide über das Warum der Serviceorientierung sprechen.

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Robert Sieber
 

Robert Sieber ist Ex-CIO, Podcaster und Servicenerd. Seine Vision ist eine interne IT, die sich genauso einfach buchen, nutzen und bezahlen lässt, wie die Fahrt mit dem Taxi. Als Berater und Coach packt er ganz praktisch und pragmatisch bei seinen Kunden an, um echte Serviceorientierung zu dauerhaft zu etablieren. Robert Sieber vertritt einen pragmatischen und geschäftsfokussierten Weg für Service-Management. Als Berater sind für ihn gesunder Menschenverstand und offene Kommunikation wichtiger als Frameworks und Best Practices.

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