Imageproblem 1st-Level

In manchen Unternehmen ruft niemand gern beim Support an. In manchen Unternehmen arbeitet niemand gern im Support. Beides trifft häufig zusammen. Das eine bedingt vielleicht das andere. Inspiriert von einer Session auf dem letzten Servicenerds.Camp möchte ich heute mit Dir über das Image des 1st-Level-Support aus Sicht der ITler sprechen. Bevor Du direkt in die Folge startest, lass uns bei Dir ins Unternehmen schauen: Wie ist die Situation dort? Gibt es einen 1st-Level? Beschäftigen sich genügend Kollegen und Kolleginnen mit dieser Aufgabe? Sind diese mit Leib und Seele dabei?


den Podcast findest Du auch bei: iTunes - RSS - Spotify - Stitcher - YouTube - TuneIn - Google Podcast - Deezer - AudioNow - Amazon Music


In meinem ersten Job nach dem Studium habe ich Folgendes gelernt: Ich arbeitete damals für die Bayerische Landesbank. Wir hatten bei uns im Support einen Kollegen, der war wirklich mit Herzblut bei der Sache. Er war immer auf dem neusten Stand und bildete sich gefühlt ständig weiter in allem, was für die Endnutzer relevant war. Er war auch der Einzige, der dafür sorgte, dass „seine Tickets“ bearbeitet werden. Das hat mich damals sehr beeindruckt.

Das hat mich auch deswegen beeindruckt, weil ich damals auch zu denen gehörte, die sich eine Arbeit im 1st-Level nicht vorstellen konnten. Ich meine, den ganzen Tag nicht ITlern bei vermeintlich trivialen Problemen zu helfen, deswegen habe ich doch nicht Informationstechnologie studiert.

Genau das ist das Problem. Das sehen ganz viele ITler so. 1st-Level ist nichts für einen wirklichen Techniker. Da ruft ja nur der DAU an. Das ist gar keine Herausforderung.

Das ist die eine Fraktion. Dann gibt es noch die andere Fraktion, die den 1st-Level als ihr eigenes Spielfeld annimmt und das beste für jeden gibt, der anruft oder ein Ticket aufmacht.

Das habe ich damals bei der Bayerischen Landesbank gelernt. Verstanden habe ich es erst etwas später.

Wo kommt das Problem her?

Leider findest Du dieses Imageproblem auch in der Führungsetage. Im Sinne von, dass der 1st-Level ein notwendiges Übel ist, der so billig wie möglich erbracht werden soll. Da führt dazu, dass Service-Desks mit Azubis ausgestattet werden oder im schlimmsten Fall an einen externen Anbieter, dessen Mitarbeitende nicht gut Deutsch sprechen.

Das führt auch dazu, dass nicht die richtigen Menschen rekrutiert werden. Ich denke, dass andere Fähigkeiten für die Arbeit im Service-Desk oder 1st-Level relevant sind, als an anderen Positionen in der IT.

Menschen, die langfristig am Service-Desk arbeiten, haben ganz spezielle Fähigkeiten:

  • Sie sind am Menschen und dessen Problemen interessiert.
  • Sie können sich in die Anrufenden gut hineinversetzen und geben denen das Gefühl, ernst genommen zu werden. Wahrscheinlich, weil sie den Anrufenden auch ernst nehmen.
  • Kommunizieren gut und gern. Können dabei auch komplizierte Sachverhalte einfach und verständlich ausdrücken.
  • Haben ein breites technisches Verständnis und können antizipieren, was die Nutzer*innen eigentlich sagen wollen.

Genau das ist der erste Punkt, den ich Dir ans Herz legen möchte, wenn Du die richtigen Menschen für den 1st-Level suchst. Diese Menschen, die ich gerade auszugsweise beschrieben habe, haben kein Imageproblem. Die lieben die Arbeit mit Menschen in vorderster Reihe!

Billig ist nicht preiswert

Ein weiteres Problem, welches ich im Zusammenhang mit Image, Ruf und Mitarbeitendenzufriedenheit im 1st-Level sehe, ist die starke Beschränkung der Aufgabenvielfalt. Im Fahrwasser des „es darf nicht viel kosten“, ist der 1st-Level recht häufig ein einfacher Catch & Dispatch: Ticket aufnehmen, Ticket weiterleiten und mit den verärgerten Nutzern umgehen, weil das Ticket nicht bearbeitet wird.

Das macht niemand auf Dauer mit. Kaum Erfolgserlebnisse. Das laugt einfach aus. Das führt zu Unzufriedenheit bei allen Beteiligten:

  • Nutzer*innen nervt der Durchlauferhitzer.
  • 1st-Level-Mitarbeitenden sind unmotiviert und unzufrieden.
  • Der Rest der IT ist unzufrieden, weil sie viel zu viele Tickets bearbeiten müssen.

Ich behaupte ja immer wieder, dass die Telefonhotline der preiswerteste Supportkanal ist. Selbst wenn da teure Mitarbeitende sitzen. Das trifft dann zu, wenn diese Hotline oder der 1st-Level auch wirklich etwas leisten können.

Was darf der 1st-Level?

Ohne das Wort Erstlösungsrate als KPI in den Mund nehmen zu wollen, ist ein hoher Anteil an gelösten Anfragen im 1st-Level ein relevanter Punkt: Je mehr die Kolleg*innen dort auch wirklich lösen können, umso besser ist es für das ganze Unternehmen.

Du darfst also dafür sorgen, dass neben den notwendigen technischen Skills auch die Möglichkeiten vorhanden sind, Anfragen direkt zu lösen. Leider sehe ich es viel zu häufig, dass der 1st-Level nicht ausreichend Berechtigungen hat. Sie könnten ja was kaputt machen.

Des Weiteren fehlt es häufig ganz einfach an einer Dokumentation. Der 1st-Level hat nicht die Zeit, alles erst zu discovern. Die notwendigen Informationen müssen vorhanden sein. Dann können auch mehr Anfragen abgeschlossen werden.

Du merkst, ich spreche gerade vor allem von Anfragen. Das Wort wähle ich bewusst. Es geht im 1st-Level nicht nur um Incidents. Bitte schau Dir auch die ganzen Service-Requests Deiner IT an. Ich behaupte, dass ein großer Teil davon direkt im 1st-Level erledigt werden kann. Dazu muss kein Ticket durch die Organisation wandern und andere von der Arbeit abhalten.

Gestalte bitte das Aufgabenspektrum im 1st-Level angemessen vielfältig. Das führt zu:

  • Zufriedenen 1st-Level-Kolleg*innen, weil Abwechslung und das Erledigen von Aufgaben wichtig für die Menschen ist.
  • Zufriedenen Nutzer*innen, weil ihre Anfragen viel schneller bearbeitet werden.
  • Zufriedenen Mitarbeitenden im „Rest der IT“, weil die Anzahl der Tickets drastisch sinkt.

Zu guter Letzt führt es zu sinkenden Betriebskosten.

Ist-Situation schnell verbessern

Du hast gerade zwei grundlegende Herangehensweisen gehört, die Dir helfen das Imageproblem des 1st-Level zu beseitigen und eine schlagkräftige Einheit aufzubauen.

Von Deiner aktuellen Situation dahin zu kommen, braucht sicher etwas Zeit. Wir alle müssen mit den Menschen und Rahmenbedingungen klarkommen, die wir haben. Zumindest kurzfristig.

Deswegen mag ich Dir noch ein paar Punkte aus der Servicenerds.Camp-Session mitgeben, die die Teilgebenden gemeinsam erarbeitet haben.

Rotation

Gerade, wenn Du die Situation hast, dass Du keinen dedizierten 1st-Level oder dafür explizit geeignetes Personal hast, dann kann Dir eine Rotation der Ticketannahme – egal ob Telefon oder eMail – helfen. Das bedeutet, es gibt einen Rhythmus, in dem jeder mal die Annahme durchführen muss. Natürlich bitte immer genügend Kolleg*innen, um das Aufkommen abzufangen.

Alle anderen, die keinen Hotlinedienst haben, die kümmern sich weitgehend ungestört um die Abarbeitung der Tickets. Oder um die Umsetzung kleiner Projektaufgaben oder Changes. Das zielt vor allem auf die Abwechslung und ungestörte Arbeitszeit. Es dient auch dazu, dass nicht der Anschluss an die wirklichen Nutzerprobleme verloren wird.

Verschiedene Rollen

Dem gleichen Ziel dient die Idee, dass Menschen, die hauptamtlich im 1st-Level tätig sind, weitere Rollen in der Organisation wahrnehmen – unabhängig vom Support. Somit wird die Tätigkeit vielfältiger. Guter Nebeneffekt ist, dass alle Rollen eines Menschen voneinander profitieren. Du darfst bitte darauf aufpassen, dass nicht zu viele Rollen auf einem Kopf vereint werden. Das Teilen von Menschen ist nur bedingt erfolgreich.

Der Chef macht mit

Ein ganz verrückter Vorschlag kam in Bezug auf die Rollen. Warum soll nicht auch die Führungskraft in die Rotation eingebunden werden? Einfach als gutes Vorbild vorangehen. Das zeigt nicht nur, dass der 1st-Level relevant ist, sondern sorgt bei der Führungskraft auch für mehr Verständnis der Nutzer*innen und die Arbeit der Supporter.

Entwicklungschancen

Häufig treffen wir auf die Situation, dass den Kolleg*innen im 1st-Level versprochen wird, dass sie nach x Jahren Support andere Tätigkeiten innerhalb der IT bekommen. Idee ist, dass die Menschen wenigstens die x Jahre durchhalten und man so lange erstmal Ruhe an der Baustelle hat.

Das kann ein valider Ansatz sein. Bei diesem Vorgehen ist es wichtig, dass das Versprechen eingehalten wird und der Übergang langfristig vorbereitet wird. Sowohl was den ausscheidenden Mitarbeiter als auch dessen Nachfolger angeht. Und vor allem: Halte Dein Versprechen ein!

Aber warum muss es raus aus der Supportorganisation gehen? Auch innerhalb lässt sich eine Fach- und Führungslaufbahn etablieren. Gute Supporter*innen sind viel wert. Diese ans Unternehmen und den Support zu binden, ist wichtig. Wahrscheinlich braucht es dafür auch eine gewisse Größe der Supportorganisation.

Fazit

Wie gesagt: Der 1st-Level-Support ist das Aushängeschild der IT. Naja, sollte er sein. Dafür braucht es das passende Personal und die passende Einstellung der gesamten IT-Organisation.

 

Robert Sieber
 

Robert Sieber ist Ex-CIO, Podcaster und Servicenerd. Seine Vision ist eine interne IT, die sich genauso einfach buchen, nutzen und bezahlen lässt, wie die Fahrt mit dem Taxi. Als Berater und Coach packt er ganz praktisch und pragmatisch bei seinen Kunden an, um echte Serviceorientierung zu dauerhaft zu etablieren. Robert Sieber vertritt einen pragmatischen und geschäftsfokussierten Weg für Service-Management. Als Berater sind für ihn gesunder Menschenverstand und offene Kommunikation wichtiger als Frameworks und Best Practices.

Click Here to Leave a Comment Below 0 comments