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Gastbeitrag: Wie ein weißes Board den IT-Betrieb veränderte – ein Erfahrungsbericht

Am Anfang stand eine Excel-Datei. Die enthielt alle übergeordneten IT-Aktivitäten mit einem Vermerk, wer für die Abarbeitung zuständig ist und was der derzeitige Bearbeitungsstand ist. Einmal pro Woche wurde das weitere Vorgehen im Rahmen eines einstündigen Jour-Fixe besprochen.

Das ist nun fast zwei Jahre her. Seitdem haben wir an einigen Stellschrauben zur besseren Steuerung unseres IT-Betriebs gedreht. Die Excel-Datei ist passé und einem Whiteboard an prominenter Stelle des IT-Büros gewichen. Was – gerade aus Sicht von IT’ler – vielleicht wie ein Schritt zurück anmutet ist das Ergebnis einer Art evolutionärer Gestaltung der IT-Organisation.

Die Excel-Liste hatte ich damals von meiner ehemaligen Bereichsleiterin geerbt. Der Bereichsleiterin fehlte die Zeit sich im notwendigen Maße den IT-Betrieb zu koordinieren. Ihr Hauptaufgabengebiet war der Bereich „Finanzen“ und meine Stelle als Abteilungsleiter war längere Zeit unbesetzt gewesen. Unter diesen Voraussetzungen war die wöchentliche Besprechung das Mittel der Wahl, um überhaupt etwas Koordination ins Tagesgeschäft zu bekommen.

Erfahrung sammeln und verbessern

Anfangs wurden die Aufgaben immer freitags besprochen; später änderte ich den Zeitpunkt auf montags. Ich versprach mir einen 180°-Schwenk der Blickrichtung: Weg von „was wir diese Woche nicht geschafft haben“, hin zu „was diese Woche noch alles ansteht“. Wie ich schnell fest stellte, lag das Problem nicht in unserer Blickrichtung. Der Turnus mit 1 x pro Woche war einfach zu grob. Vorhaben und Besprochenes ging zu schnell im Tagesgeschäft unter.

Ich erhöhte die Taktfrequenz. Die neue Marschrichtung hieß: täglich, morgens um 9 Uhr für 15 Minuten. Das „täglich“ hing maßgeblich von mir ab. Mahnte ich den 9-Uhr-Termin nicht direkt an, wurde er immer mal gerne stillschweigend ignoriert. Zudem waren die 15 Minuten einfach zu kurz, da die Excel-Datei mittlerweile zu viele Einzel-Aktivitäten beinhaltete.

Die nächste Optimierungsphase sah vor, die Anzahl der Aktivitäten pro Mitarbeiter auf maximal 5 zu beschränken. Unsere Excel-Datei wurde um Terminvorgaben, Prioritäten und dem Marker „in Bearbeitung“ erweitert. Das klappte ganz gut. Zumindest für die ersten 14 Tage. Danach wurde auch die anfangs sehr kurze Liste unabdinglich länger. Zu viele „Langläufer“, bei denen wir auf Mitarbeit Dritter oder Entscheidungen des Managements warteten stapelten sich mit der Zeit. Statt 15 Minuten fanden wir  uns generell bei 30-45 Minuten pro Tag ein. Dabei wurde die tägliche Abstimmung immer häufiger zur Diskussion anderer Themen verwendet, off-topic sozusagen.

Aus dem Auge aus dem Sinn

Aber egal, welche Optimierung wir nachsteuerten, jeder Mitarbeiter hatte nie auf seine eigene, ganz persönliche To-Do-Liste verzichtet. Diese Listen liefen immer parallel. Natürlich mit Themen, die nicht in der Excel-Liste auftauchten. Der Grund hierfür war so einfach, wie banal: Der eigene Schmierzettel war immer griffbereit und im Blickfeld. Wurde unsere Excel-Liste erst einmal geschlossen, waren die dortigen Punkte nicht mehr präsent. Aus dem Auge aus dem Sinn. Was nicht während der täglichen Besprechung aus der Excel-Liste entnommen und auf den eigenen Schmierzettel notiert wurde, ging meistens unter. Bis zum nächsten Tag. Dann begann das Spiel oft von Neuem. Unser Organisationsmedium versagte. Ein anders Werkzeug musste her.

Vom Kanban-Board hatte ich schon seit längerer Kenntnis. Immer mal wieder wurde diese Art der Organisation in Magazinen oder der Fachliteratur erwähnt. Immer in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, mit verschiedenen Zielsetzungen. Vom agilen Scrum-Programmier-Umfeld bis hin zur Abbildung des gesamten IT-Betriebs schien damit alles möglich zu sein. Nur, konnte ich meinen IT’lern wirklich ein so lapidares, noch dazu analoges Medium zumuten?

Frust als Nährboden für Veränderung

Ich konnte. Und das sogar einfacher, als gedacht. Irgendwann war die Zeit reif, der Frust über den täglichen Abstimmungs-Marathon im gesamten Team so groß, dass ich die Idee des Kanban-Boards vorstellte. Meinem Team gegenüber habe ich die Problem, die ich mit unserer bisherigen Organisationsform gesehen habe, offen benannt. Zu hoher Zeitaufwand zur Abstimmung, fehlende Transparenz, zu langsame Abarbeitung der Aktivitäten. Ich war regelrecht froh, dass genau diese Punkte auch von meinem Team gesehen und beanstandet wurden. Der Unmut mit unserer Excel-Liste war bei jedem im Team vorhanden und entsprechend offen waren alle, für neue Ideen.

Noch während ich lang und breit über die Hintergründe und die möglichen Einsatzszenarien des Kanban-Boards philosophierte, unterbrach mich mein Sys-Admin: „Wow! Das ist echt charmant! Ganz ehrlich, ich bin ein visueller Mensch und muss immer im Blick haben, was gerade ansteht. Wenn das dort vorne an der Wand hängt, dann kann ich mir meine eigene Liste sparen und sehe ständig, was noch offen ist.“

Damit war das Eis gebrochen. In sehr kurzer Zeit wurde das bestehende Whiteboard frei geräumt und die Fläche mit einem zweiten Bord verdoppelt. Wir haben uns auf Notizzettel geeinigt. Derzeit sogar in unterschiedlichen Farben. Mehr Magnete wurden beschafft und die bestehenden Aktivitäten der Excel-Liste auf die Notizzettel übertragen. Fertig.

So arbeiten wir mit dem Board

Kanban-Board in Aktion im IT-Betrieb

Kanban-Board in Aktion im IT-Betrieb

Heute sieht unser Kanban-Board so aus (siehe Screenshot). Wir haben unterschiedliche Bereiche hinterlegt. Bereich A enthält alle gesammelten und nicht gestarteten Aufgaben. Im Bereich B werden alle neuen und noch nicht besprochenen Aktivitäten gesammelt, also alles, was täglich neu reinkommt und nicht unmittelbar abgearbeitet werden konnte. Die eigentliche Musik spielt im Bereich C. Jedes Team-Mitglied organisiert seine Aktivitäten in einer eigenen Spalte. Die ist ganz bewusst schmal gehalten, damit die Zahl der gerade in Arbeit befindlichen Aktivitäten begrenzt bleibt. Ganz rechts haben wir unseren Parkplatz (Bereich D); unser Sammelbecken für Langläufiger, angefangen, aber die Weiterführung hängt von Dritten ab.

Transparenz spart Zeit

Zwar muss ich nach wie vor mit einem „Wollen wir uns mal eben kurz dem Board widmen“, zur Abstimmung ermahnen, aber das „mal eben kurz“ klappt immer noch perfekt. Seit 2 Monaten arbeiten wir auf dieser Basis und brauchen täglich zwischen 5 und 15 Minuten zur Abstimmung. Was steht heute an? Was ist gestern hinzu gekommen? Bleiben die Prioritäten so, wie bisher besprochen? Wann wird was fertig? Wie sieht es mit unserem Parkplatz aus? Off-Topic-Themen werden als solche benannt und bei Bedarf in separaten Gesprächen geklärt. Das Ergebnis: kurz, knackig, so soll es sein.

Immer mal wieder sieht man einzelne Team-Mitglieder am Whiteboard stehen, erledigte Zettel mit einem ersichtlichen Gefühl der Genugtuung zerknüllen und weg werfen. Oder mit einem Stift bewaffnet wird ein neuer Zettel ausgefüllt. Das Kanban-Board ist hervorragend im Tagesgeschäft integriert.

Wir haben uns ganz bewusst entschlossen, das Board so zu gestalten, dass es zu uns passt. Zum Beispiel verzichten wir auf das Namenskürzel und das Datum beim Erstellen eines neuen Zettels. Auch die ausführliche Beschreibung und der Bearbeitungsstand wird nicht mehr mitgeführt. In unserer Excel-Liste haben wir das noch dokumentiert. Hier am Whiteboard zählt: „Halte Dich kurz.“ Das klappt in einem kleinen Team, wo jeder noch (ungefähr) weiß, was Sache ist. In größeren Teams müsste sich sicherlich noch exakter organisiert werden.

Ausblick

Auch die Langläufer sind noch nicht optimiert. Wir haben uns darauf geeinigt, erst einmal anzufangen, statt unnötig viel Zeit mit der Frage „Darf es überhaupt Langläufer geben?“ und „Wie granular müssen Aufgaben definiert werden?“ zu verbringen. Derzeit ist unser Parkplatz noch überschaubar gefüllt. Aus unserer Sicht kein Grund zur Sorge. Zudem schaffen wir es immer mal wieder auch diese Aktivitäten wieder in Bearbeitung zu sehen. Solange wir also merken, dass es weiter geht, passt das Werkzeug für uns.

Ob wir mit der Bearbeitung unserer Aktivitäten schneller geworden sind, kann ich ehrlich gesagt nicht beantworten. Mein subjektiver Eindruck ist: ja. Wir halten entsprechenden Zahlen aber nicht nach, können den objektiven Stand deshalb auch nicht auswerten. Zudem bin ich der Meinung, dass auf der heutigen Basis eine solche Auswertung keinen direkten Mehrwert bringt. Ganz bewusst sprechen wir von Aktivitäten und nicht von „Tickets“. Unsere Aktivitäten sind zu heterogen, als dass eine schnellere Bearbeitung von x Prozent im Vergleichszeitraum irgendeinen greifbaren Mehrwert bietet.

Im Moment ist mir wichtiger, dass wir wieder alles im Griff –oder besser, alles im Blick – haben. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass wichtige Aktivitäten vergessen werden. Und sollten sich Inhalte oder Prioritäten kurzfristig verschieben, kann ich das jederzeit für alle sichtbar mit Hilfe des Kanban-Boards eskalieren lassen. Der neuen Transparenz sei Dank. Es ist ein gutes Gefühl, zu sehen, woran das gesamte Team aktuell arbeitet.

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Carsten Krautwald
 

Carsten Krautwald ist Jahrgang 1977 und besitzt mittlerweile mehr als ¼ Jahrhundert praktische IT-Erfahrung. Gestartet als IT-Administrator ist er heute als Führungskraft aktiv und sieht sich als Bindeglied zwischen Business und IT. Er fühlt sich in den Branchen Maschinenbau, Kunststoffverarbeitung und der pharmazeutischen Industrie Zuhause und kennt die Schwierigkeiten ein ITSM erfolgreich zu etablieren aus eigener Erfahrung. Seine Arbeit ist von einer mittelständischen Denkweise geprägt.

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